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Channel: Seite 26 – Unser Havelland (Falkensee aktuell)
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Rollender Shitstorm im Havelland: 8.000 Traktoren auf dem Weg zum Brandenburger Tor!

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Die Landwirte in Deutschland haben die Nase gestrichen voll. Nach drei wirklich schlechten Ertragsjahren bei stetig sinkenden Abnahmepreisen fühlen sie sich am Limit ihrer Belastbarkeit – und sollen nun auch noch ein neues „Agrarpaket“ schultern, das mit noch mehr Auflagen und weiteren finanziellen Einbußen einhergeht. Wo das Ende der Fahnenstange erreicht ist und aus Sicht der Bauern nichts mehr geht, da müssen Zeichen gesetzt werden.

Am 26. November brachen geschätzt über 8.000 Landwirte aus dem ganzen Land auf, um in ihren Traktoren zur Sternfahrt nach Berlin zu rollen. Ziel war das Brandenburger Tor, vor dem medienwirksam eine Kundgebung anberaumt war. Hupend und mit gesetzten Signallichtern brachten sie den Verkehr an vielen Stellen zum Erliegen. Das galt nicht nur für die Hauptzufahrtswege nach Berlin wie etwa die B5, sondern auch für viele andere Strecken.

Die Bürger hatten zum Teil großes Verständnis für die Bauern. Andere verurteilten die Aktion aber, verwiesen auf den immensen CO2-Ausstoß und schimpften darüber, dass sie nun dank Stau zu spät zur Arbeit gelangen würden. Dabei konnte man schnell feststellen: Die wenigsten Bürger wissen eigentlich so recht, wo den Bauern der Schuh drückt.

Die von Jungbauern recht spontan gegründete Organisation „Land schafft Verbindung“ schrieb: „Die Umsetzung des Agrarpakets wird für die Landwirte mit erheblichen Einschränkungen und deutlichen Mehrkosten bei sinkenden Erträgen verbinden sein. So wird unsere regionale Lebensmittelproduktion weiter geschwächt.“

Und: „Wir demonstrieren nicht gegen Umweltauflagen oder für mehr Subventionen. Wir fordern eine nachhaltige Politik und einen fairen Umgang, damit auch unsere Kinder eine Chance haben, die Höfe in einer weiteren Generation weiter zu führen.“

Die Organisation „Land schafft Verbindung“ hatte die gesamte Sternenfahrt komplett über WhatsApp und Facebook angeschoben und organisiert. Schnell bekam die Aktion aber eine Eigendynamik, sodass sie sich kaum noch steuern ließ. Johannes Funke, Landtagsabgeordneter und Geschäftsführer vom Kreisbauernverband Havelland e.V., ahnte schon vorab: „Nach unserer Einschätzung ist mit einer der größten Demonstration von Bauern zu rechnen, die es jemals in Deutschland gegeben hat.“

Auch Dirk Peters, Geschäftsführer der Agro-Farm Nauen, staunte über den Aufmarsch der Traktoren: „So etwas habe ich noch nie erlebt. Viele Landwirte kamen von weither mit dem Tieflader angefahren – mit drei Traktoren drauf.“

Dirk Peters lud bereits am Vortag der Sternenfahrt zu einer Diskussionsrunde mit Landwirten aus dem Havelland ein, um einmal die Hintergründe des bäuerlichen Unmuts in Worte zu fassen. Er sagte: „Es muss sich dringend etwas ändern. Wir wünschen uns, dass nicht gegen uns gehandelt wird, sondern mit uns. Ein neues Miteinander ist wichtig. Das geplante Agrarpaket entzieht uns die Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland. Der Anbau lohnt sich einfach nicht mehr, wenn das Agrarpaket so kommt, wie es angekündigt wurde. Aus dem Havelland fahren deswegen 228 Landwirte bei der Demo mit – und es melden sich laufend neue Bauern an.“

Antje Schulze von den Landfrauen aus Lietzow: „Es bringen sich dabei sogar Landwirte ein, die sonst nie zu hören sind. Und es machen sogar Schäfer und Pferdepensionen mit.“

Annette Brockmann von der Agrargenossenschaft Wutzetz aus Friesack, die sich um 450 Mutterkühe und ihren Nachwuchs kümmert, bringt es auf den Punkt: „Wir wollen, das mit uns zusammengearbeitet wird. Wir sind doch die Experten und die Fachleute, wenn es um die Landwirtschaft geht.“

Dirk Peters: „Von den 708 Bundestagsabgeordneten, die wichtige Entscheidungen treffen, haben leider nur sieben einen agrarpolitischen Hintergrund. Wir Landwirte stellen nur 1,6 Prozent der deutschen Bevölkerung. Vielleicht ist das zu wenig, um gehört zu werden.“

Lars Schmidt, der in Lietzow einen Milchviehbetrieb leitet: „Wir fordern einen vollständigen Reset des Agrarpakets und eine Neuauflage, an dessen Erstellung wir Landwirte direkt beteiligt werden.“

Annette Brockmann: „Wir sollen wegrationalisiert werden. Aber wenn es die deutschen Bauern nicht mehr gibt, dann müssen wir uns unsere Lebensmittel eben von außen holen. Dann kann aber niemand mehr sagen, unter welchen Bedingungen diese Lebensmittel produziert wurden.“

Dirk Peters: „Wir fordern, dass dann auf importierten Lebensmitteln steht: Diese Waren wurden nicht nach deutschen Standards produziert.“

Antje Schulze von den Landfrauen: „Wir lassen jetzt nicht mehr locker. Wenn die Sternenfahrt nach Berlin keinen Erfolg hat, dann fahren wir eben nach Brüssel. Ich denke, zur Grünen Woche wird es noch einmal richtig laut werden.“

Dirk Peters: „Tierwohl, Blühstreifen, Insektenschutz: Wir Landwirte tun schon so viel, das kommt nur beim Konsumenten und bei der Politik nicht wirklich an.“

Die Landwirte machten auch klar, dass sie sehr langfristig planen und arbeiten. Sie rechnen in Zyklen über viele Jahre hinweg und benötigen aus diesem Grund dringend so etwas wie eine Planungssicherheit. Aus diesem Grund kommt es zurzeit regelrecht zu einem Investitionsstau. Denn wozu neue, teure Maschinen anschaffen, wenn gar nicht klar ist, ob sie in zwei, drei Jahren noch eingesetzt werden können oder dürfen? Auch bei den Tieren gibt es zurzeit kaum eine Erweiterung. Dirk Peters: „Wir Landwirte leben vom Bestand.“

Stefanie Peters hat sich bewusst dafür entschieden, bei ihrem Vater mit in die Agro-Farm Nauen einzusteigen. Die Junior-Chefin: „Wir fahren zur Traktor-Demo auch für unsere Generation. Wir würden gern auch noch bis zu unserer Rente auf den Feldern arbeiten.“

Die Bauern haben den Eindruck, dass sich die Stimmung in der Bevölkerung zunehmend gegen sie richtet. Massentierhaltung, Kükenschreddern und die Giftkeule auf dem Feld: Es gibt viele Bedenken. Dabei fehlt nach Sicht der Bauern vielen Bürgern die Ahnung, wie das Leben auf dem Bauernhof wirklich abläuft. Antje Schulze: „Es kann doch nicht sein, dass Kinder in der Schule gemobbt werden, nur weil ihre Eltern Bauern sind.“

Die Organisation „Land schafft Verbindung“ bekennt sich zu den Wünschen der Politik und der Bevölkerung: „Wir Landwirte stehen für Insekten- und Naturschutz, für sauberes Grundwasser und gesunde Lebensmittel, für eine klimaschonende Landwirtschaft und Tierwohl in unseren Ställen. Bereits heute gibt es in unserem Land zahlreiche Aktivitäten und Kooperationen, um Tierwohl sowie Artenschutz nachhaltig und wissenschaftlich basiert weiterzuentwickeln und zu stärken.“

Ein Bauer, der auf seinem Traktor über die B5 bretterte und dabei ein Plakat zeigte, machte in einem Satz deutlich, wie sich all diese frommen Wünsche umsetzen lassen: „Was ihr wollt, können wir alles, aber ihr müsst es bezahlen.“ Mit ihr, da sind die Konsumenten gemeint.

Die Sternenfahrt der Bauern wurde in den sozialen Netzwerken kontrovers diskutiert. Wo die einen auf Luftverpestung durch Diesel-Traktoren, auf Insektizid-Verpestung und auf Massentierhaltung verwiesen, schrieben andere: „Nun werden die Bauern endlich von sehr vielen Verbrauchern und Berufspolitikern gesehen und gehört.“ Und: „Das ist ein starkes Zeichen gegen eine falsche Politik!“

Zur Traktoren-Demo wünschte sich Dirk Peters im Vorfeld übrigens nur eins: „Es ist ganz wichtig, dass die Demo gewaltfrei bleibt und nix passiert.“ Auch, weil seine Tochter als Beifahrerin auf einem Traktor der Agro-Farm Nauen mit dabei war.

Wichtig ist nun, dass die Bauern und die Politik schnell gemeinsam an den Verhandlungstisch treten – um eine machbare Agrarwende für die kommenden Jahre auszuhandeln. Denn: Wir brauchen auch weiterhin Lebensmittel aus regionaler Produktion unter Einhaltung der strengen, deutschen Standards. Importe aus dem Ausland können nicht die Lösung sein. (Text/Fotos: CS)

Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 166 (1/2020).

Der Beitrag Rollender Shitstorm im Havelland: 8.000 Traktoren auf dem Weg zum Brandenburger Tor! erschien zuerst auf FALKENSEE.aktuell.


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