Bodo Oehme, Bürgermeister von Schönwalde-Glien, hat ein Faible für die Geschichte der Region. Gern spürt er alten Fakten nach, spricht mit Zeitzeugen, wertet alte Dokumente aus – und gibt sein Wissen weiter. Am 28. Januar 2018 folgten 300 Bürger seiner Einladung, eine knapp dreistündige Wanderung durch den Erlenbruch zu unternehmen.
Dabei handelt es sich um das Gelände hinter Schönwalde-Dorf, gleich bei der Paintball-Arena. Hier haben sich direkt an der Straße viele Gewerbetreibende angesiedelt, so auch die Baufirma Lothar Lüdtke. Auf dessen Werkshof sammelten sich die neugierigen Havelländer, um mit Wanderschuhen und Regenzeug einen Ausflug in die Geschichte Schönwaldes zu unternehmen.
Denn der Erlenbruch, das war zur Zeit des Nationalsozialismus eine Militärkaserne. Als Flughafen Schönwalde konzipiert, wurde hier eine Flugschule der Luftwaffe eingerichtet. Über 3000 Militär- und 500 Zivil-Personen waren vor Ort stationiert, um dabei zu helfen, neue Piloten auszubilden.
Das Gelände mit den Wohnhäusern aus roten Ziegelsteinen, dem Tower, dem Speisehaus, der Kranken- und Seuchenstation, mehreren Flugzeug-Hangars, der betonierten Start- und Landebahn, einem eigenen Schwimmbad und mehreren Exerzierplätzen ist normalerweise für die Öffentlichkeit gesperrt. Bodo Oehme öffnete selbst die Schranke für alle Teilnehmer der Wanderung. Übrigens zum letzten Mal. Oehme: „Nachdem in den letzten Jahren viele Investoren wieder abgesprungen sind, gibt es nun einen neuen Investor, der das Gelände mit 67 Hektar Fläche am 30. Januar 2018 vom Land Brandenburg übernommen hat. Damit sind die Investoren nun die neuen Besitzer des Erlenbruchs.“
Die Wanderung durch die ehemalige Militärkaserne – gespenstisch. Die Häuser stehen alle noch, aber sie sind zerfallen. Die Natur hat sich das Areal zurückerobert, überall wächst Gestrüpp. Hinzu kommt, dass sich das Wasser staut – das Gelände ist ein halber Sumpf. Bodo Oehme: „Der Erlenbruch heißt so, weil hier viele Erlen wachsen. Und die mögen es feucht. Ein Spatenstich reicht hier aus, um auf Wasser zu stoßen. Wie es die Architekten und Ingenieure damals geschafft haben, Häuser mit Keller in diese sumpfige Landschaft zu bauen, ist ein echtes Wunder. Und die Keller sind auch heute noch dicht.“
1945, zum Ende des Krieges hin, war die Fliegerschule nicht mehr voll besetzt. Die Piloten wurden im Luftkampf verheizt, für die Ausbildung neuer Piloten fehlte die Zeit.
Die Kaserne konnte übrigens rechtzeitig vor der Roten Armee geräumt werden – die Sowjets übernahmen den Fliegerhorst ohne nennenswerte Kampfgefechte. In der Folge nutzten sie den Flughafen bis 1965 für den eigenen Flugverkehr. Anschließend installierten sie vor Ort Technik zur Luftraumüberwachung und vor allem für die Funküberwachung von Berlin-West – analog zur Abhörstation der Alliierten auf dem Berliner Teufelsberg. 1992/93 zogen die Sowjets mit bis zu 8000 Mann Besetzung ab und überließen das Gelände sich selbst. Bodo Oehme: „Einen der fünf Flugzeug-Hangars vor Ort haben die Sowjets abgebaut und mit nach Hause genommen. Vier sind noch da, zwei davon in Privatbesitz.“
Nadine Falkenhagen hört dem Bürgermeister interessiert zu: „Der historische Hintergrund steht ja im Internet. Ich wollte mir die Kaserne aber selbst ansehen, bevor das nicht mehr möglich ist. Ich bin gerade erst nach Schönwalde gezogen, und da gehört es für mich dazu, mich mit der Geschichte des Ortes zu beschäftigen.“ Eine Teilnehmerin der Wanderung möchte lieber anonym bleiben: „Wir sind hier als Kinder immer heimlich rumgestromert. Das war sehr aufregend. In einem Haus steht noch die alte Küche. Da sieht es so aus, als hätten die Bewohner alles so liegengelassen, wie es war. Wenn uns damals jemand erwischt hätte, das hätte richtig Ärger gegeben.“
Zu Recht, denn die 207 Gebäude vor Ort – und vor allem die Hangars – sind einsturzgefährdet und alles andere als sicher. Bodo Oehme: „Die Wohnhäuser auf dem Areal sind übrigens sogar mit Betondächern ausgestattet – um einer Bebombung aus der Luft standzuhalten. Wobei zu Kriegszeiten nur eine Bombe über der Kaserne fallengelassen wurde.“
Besonders interessant ist auf dem Gelände das ehemalige 50-Meter-Schwimmbecken. Bodo Oehme: „Das Schwimmbecken ist auch heute noch dicht. Wir müssten es nur sanieren, ein Glasdach draufpacken – und hätten schneller ein Hallenbad als Falkensee.“
Am Ende der Wanderung durch einen fantastischen „Lost Place“ dann der Knaller: Das gesamte Gelände soll neu erschlossen werden. Laut Bodo Oehme plant die Schönwalde Wohnen GmbH & Co.KG Langenhagen vor Ort Wohnraum für 2500 Menschen zu errichten. Dabei möchte man die alten Wohnhäuser sanieren und im Bestand lassen. Zwischen den Häusern sollen einzelne neue Gebäude entstehen, wobei der Baumbestand erhalten bleiben soll. Oehme: „Alle großen Bäume sind kartiert und haben Bestandsschutz.“
Gelingt das Kunststück, die alten Gebäude im morastigen Gelände wieder bewohnbar zu machen, so könnte Schönwalde-Glien auf diese Weise einen deutlichen Bewohnerzuwachs verzeichnen – und mit dem Erlenbruch sogar einen neuen Ortsteil hinzugewinnen. Schönwalde würde damit nicht nur die 10.000-Einwohner-Zahl knacken, sondern von 9.600 auf dann 12.100 Einwohner wachsen.
Nicht alle glauben an den Tatendrang des neuen Investors. Reinhold Ehl aus Schönwalde ist skeptisch: „Das ist jetzt der 5. oder 6. Investor auf diesem Gelände. Die geben spätestens dann auf, wenn sie das Gelände, nachdem sie es gekauft haben, das erste Mal gesehen haben.“ Bodo Oehme dazu: „Die Investoren haben das Gelände mehrfach gesehen.“ Am 18. März geht es erneut mit Bodo Oehme auf Tour: Dann lädt der Bürgermeister zur traditionellen Grabentour. Treffpunkt ist um 9:30 Uhr vor dem Rathaus. (Text/Fotos: CS)
Der Beitrag Schönwalde-Dorf: Mit Bodo Oehme im Erlenbruch erschien zuerst auf FALKENSEE.aktuell.