Es ist ein gespenstischer Ort. Wer Berlin auf der B5 verlässt und in Richtung Wustermark fährt, der passiert dabei auch die Ruinen vom ehemaligen Olympischen Dorf, das passend zu den Olympischen Sommerspielen 1936 in Elstal errichtet wurde – nur 18 Kilometer vom Berliner Olympiastadion entfernt.
Während der Spiele wohnten hier über 3600 männliche Athleten mit ihren Betreuern – die Frauen hingegen waren direkt in Berlin untergebracht.
Noch heute kann man das Empfangsgebäude, über 140 Wohnbauten, das Speisehaus, die Sporthalle, das Schwimmbecken und viele weitere Bauten besichtigen und zum Teil auch betreten. Auf festen Pfaden können Besucher durch das ehemalige Olympische Dorf flanieren und einen Hauch Geschichte einatmen – auch wenn viele Bauten verfallen sind.
Inmitten dieser historischen Stätte hat nun die Bogensport-Abteilung vom SV Dallgow e.V. (natürlich mit entsprechender Ausnahmegenehmigung) zum zweiten Mal die „Wolfsjagd“ durchgeführt. Dieses traditionelle Bogensport-Turnier fand vor vielen Jahren noch regelmäßig statt, wurde dann aber mangels eines geeigneten Terrains auf Eis gelegt, um nun mit großem Erfolg im vergangenen Jahr wiederbelebt zu werden. Auch bei der 18. Wolfsjagd am 8. und 9. Oktober fanden sich wieder über einhundert Schützen aus ganz Deutschland ein, um bei einem überaus spannenden 2-Tage-Turnier die Pfeile fliegen zu lassen.
Die Schützen brachten viele verschiedene Bögen mit, darunter Langbögen, Jagdbögen, olympische Recurve- und Compoundbögen. Der große Unterschied zwischen den verschiedenen Bogenklassen: Der Großteil der Schützen schießt „intuitiv“, nutzt also keine Zielvorrichtungen am Bogen, während die Olympic-Recurve- und die Compound-Schützen ein Visier am Bogen haben.
Wie kann man sich ein Bogenturnier mitten im Olympischen Dorf vorstellen? Peter Sach, Abteilungsleiter Bogensport: „Bei einem sogenannten 3D-Bogenturnier werden keine Zielscheiben benutzt. Stattdessen werden dreidimensionale Tierattrappen im Gelände aufgestellt. Die Schützen wissen nicht, wie weit die Ziel entfernt stehen – und müssen zunächst die Entfernung richtig schätzen, um dann auch noch ordentlich und fehlerfrei zu schießen. Wer sich hier verkalkuliert, schießt daneben – und muss seinen Pfeil im Unterholz suchen.“
Max Scholz und Christian Radtke vom SV Dallgow e.V. gelten im Verein als die Experten in Sachen 3D-Turnier. Radtke: „In diesem Jahr haben wir das Turnier nach den Regeln der IFAA gestellt. Wir hatten mit Udo Schriefers sogar einen Experten mit im Team, der ansonsten auch die Parcoure großer Meisterschaften stellt.“
Die Bogenschützen fanden sich am Samstag zu Vierergruppen zusammen und wurden dann auf die 28 3D-Ziele im Terrain verteilt. An jedem Ziel fanden die Schützen farbige Pflöcke im Boden vor. Die Erwachsenen legten die Pfeile vom gelben Pflock an auf die Sehne, die Jugendlichen durften vom näher zum Ziel hin in die Erde gerammten blauen Pflock anlegen.
Max Scholz: „Die Wolfsjagd ist kein Turnier für Einsteiger. Wir haben die Ziele sehr anspruchsvoll gestellt. Es gab einige sehr schwierige Schüsse den Hang hinauf oder herunter, mitten in den Schatten der Bäume hinein oder über Entfernungen hinweg, die sich nur ganz schwer schätzen lassen. Bogenschützen, die den Parcours bewältigt haben, dürfen sich schon zu den Topschützen des Landes zählen.“
Die Wege von einem Ziel zum nächsten waren mit rotem Flatterband markiert – so, dass die Sicherheit stets gewährleistet war und kein Schütze dem anderen vor die Pfeilspitze laufen konnte. So legten die Schützen gut und gern über 10.000 Schritte und sieben Kilometer auf dem sehr abwechslungsreichen Gelände zurück – und konnten dabei die historischen Häuser aus allernächster Nähe bestaunen. Ylvie Thannisch aus Finkenkrug, die das Turnier als beste Olympic-Recurve-Schützin abschloss: „Für den normalen Besucher ist es ja verboten, die vorgegebenen Wege zu verlassen. Wir durften das Olympische Dorf querfeldein kennenlernen. Dabei schreitet man über alte Bunker, bekommt neue Einblicke in die Hausruinen und schaut im wahrsten Sinne des Wortes hinter die Kulissen. Das wertet die Wolfsjagd noch einmal extrem auf. Eine solche Kulisse kann sicherlich kein anderes Bogenturnier bieten.“
Bogenschützen sind keine Weicheier. Bei Nieselregen, 10 Grad und Wind stapften sie zwei Tage lang durch das Gelände. Am ersten Tag stand eine 3-Pfeil-Runde auf dem Plan. Das bedeutet: Geht der erste Pfeil daneben, darf noch zwei Mal korrigiert und neu geschossen werden. Am zweiten Tag wurden die Tiere anders gestellt: Während der sogenannten Hunterrunde durfte dann nur noch ein einzelner Pfeil auf jedes Ziel abgefeuert werden. Top oder Flop: Hier musste jeder Schuss sitzen. 20 Punkte durfte jeder Schütze maximal pro Ziel auf seiner Kladde vermerken. Bei 28 Zielen konnten so an beiden Tagen maximal 1160 Punkte erreicht werden. Mathias Bree von den Berliner Turmschützen erreichte in der Klasse „Bowhunter Unlimited“ sogar sagenhafte 1034 Punkte.
Ein Bogenschütze tauschte seinen Bogen für das Turnier übrigens gegen ein sehr ungewöhnliches Schießinstrument ein. Michael Pape, Vereinsmanager vom TSV Spandau 1860, legte mit einem Blasrohr auf die 3D-Ziele an – und verschoss selbstgebaute Holzpfeile.
Der SV Dallgow e.V. sorgte während des Turniers wieder für die Verpflegung der vielen Gäste – und baute wegen des Regens auch noch zwei Zelte an der Versorgungsstation auf.
Viel Freude am Bogenturnier hatten übrigens auch die regulären Besucher des Olympischen Dorfes, die den Bogenschützen an den Stationen neugierig über die Schulter schauen durften. (Text/Fotos: CS)