Am 15. November wurde in ganz Deutschland – wie einmal in jedem Jahr – der Volkstrauertag begangen. Das ist ein stiller Feiertag, der seit 1950 auf den Sonntag zwei Wochen vor dem ersten Advent fällt. In der Vergangenheit wurde der Gedanke hinter dem Volkstrauertag enger gefasst. So wurde der Gedenktag 1919 vom Volksbund Deutsche Gräberfürsorge eingeführt, um an die gefallenen Soldaten des 1. Weltkriegs zu erinnern.
Die Nazis missbrauchten den Tag, um aus ihm einen „Heldentag“ zu machen. Nach der Gründung der Bundesrepublik wurde die Tradition des Volkstrauertages in alter Form wiederbelebt – und 1950 zum ersten Mal zelebriert. Inzwischen gedenkt man an diesem Tag allen Opfern von Krieg und Gewalt auf der ganzen Welt. Im Gedenken steckt auch der Wunsch, dass der Tag ein Zeichen für Versöhnung, Verständigung und Frieden auf der ganzen Welt sein soll. Am Volkstrauertag werden die Fahnen in Deutschland auf Halbmast gesetzt. Außerdem sind größtenteils Tanz- und Musikveranstaltungen im ganzen Land ausgesetzt.
Im Schatten der Corona-Pandemie fielen in diesem Jahr viele öffentliche Gedenkveranstaltungen aus. Bodo Oehme, Bürgermeister von Schönwalde-Glien, ließ sich nicht beirren und lud auf den Friedhof der Gemeinde ein. Viele Bürger folgten dieser Einladung zur Kranzniedernegelung und zum gemeinsamen Gedenken.
Siegfried Spallek sagte als Vorsitzender der Gemeindevertretung: „Es ist nicht selbstverständlich, dass wir seit 1945 Frieden mit unseren Nachbarländern haben. In Europa herrscht Ruhe im weitesten Sinne. Mehr kann man kaum erreichen.“
Oliver Beuchel: „An einem solchen Tag kommen auch die Erinnerungen an eine ganz andere Zeit wieder hoch. Als es noch Krieg gab. Meine Mutter ist in Wilhelmshaven aufgewachsen, das war im Zweiten Weltkrieg eine Rüstungsstadt. Da war es normal, dass man als Kind jederzeit in den Bunker geschickt werden konnte. Meine Mutter hat erzählt, wie es war, als Kind aus dem Bunker wieder herauszukommen, um dann zu schauen, welche Häuser denn in der Nachbarschaft nach einer Fliegerbombardierung noch stehen würden und welche nicht. Mein Vater hat Dresden noch erlebt – und zwar all das, was wir nur auf Fotos gesehen haben. Ich habe zwei Mal versucht, mit ihm über diese Zeit zu sprechen – er wollte dazu nicht ein einziges Wort sagen.“
Angelika Frärks: „Meine Mutter stammt aus der Moldau-Region. Sie war Vertriebene und musste zu Kriegszeiten über Polen und Österreich fliehen. Auch sie hat sich geweigert, über diese Zeit zu sprechen.“
Reinhold Ehl vom Kreativ e.V. aus Schönwalde-Dorf: „Früher waren mir Allerheiligen und Allerseelen wichtiger als der Volkstrauertag. Da geht man nämlich zu den Gräben der Verwandten. Inzwischen denke ich, dass der Volkstrauertag ein ganz wichtiger Gedenktag ist, weil er ein gemeinsames Verständnis über Grenzen hinweg weckt, dass man eine Lehre aus den Kriegen der Vergangenheit ziehen und zukunftsorientiert nach vorne schauen muss. Es geht um das Miteinander und dass man auch Verständnis für Andersdenkende aufbringt. Was mich persönlich umtreibt, ist, dass es wieder so viele Dispoten auf der Welt gibt. Früher bekamen die Bürger keine Informationen oder nur sehr einseitige. Heute kann man sich über das Internet umfassend informieren und sich alle Fakten von jeder Seite besorgen. Was passiert aber? Man schottet sich ab, lebt nur noch in seiner Blase und die Eingleisigkeit wird schlimmer als je zuvor.“
Bürgermeister Bodo Oehme nutzte die Gelegenheit für klare Worte: „Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker. Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach bis heute in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren haben. Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehört haben, einer anderen Rasse zugerechnet wurden, Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde. Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben, und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten. Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten und anderer Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren, weil sie sich für Recht und Demokratie für andere eingesetzt haben. Wir gedenken heute auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt gegen Fremde und Schwache Opfer geworden sind. Wir gedenken heute auch der Kommunalpolitiker, die bei der Umsetzung unserer freiheitlichen Grundordnung Opfer von Hass und Gewalt werden und sogar zu Tode gekommen sind.“
Auch Bodo Oehme erinnerte in seiner Rede noch einmal an die Schrecken des Zweiten Weltkrieges – und machte deutlich, dass auch Schönwalde-Glien viel Leid zu beklagen hatte. Er hatte dabei den April 45 im Sinn: „Von einem deutschen Mann des Volkssturms wurde ein Soldat der Roten Armee getötet. Dafür sollten 150 Deutsche aus Schönwalde ihr Leben lassen müssen. Sie wurden auf dem Gelände der Tankstelle zusammengetrieben. Elf Schüsse waren zu hören, aber nur neun Tote fand man danach. Unter den 150 Schönwaldern waren auch mein Onkel Wolfgang, der Bruder meiner Mutter, mit seinem Freund, die seitdem spurlos verschwunden sind. Jeder Versuch über den Suchdienst vom Roten Kreuz blieb erfolglos. Meine Großmutter konnte daher diesen gravierenden Einschnitt in ihrem Leben nicht abschließen.“
Und: „Wenn wir ehrlich zueinander sind, müssen wir feststellen, dass nach nur 75 Jahren Frieden in Europa viele von uns vergessen haben, dass Frieden nicht selbstverständlich ist. Sie leben unbeschwert in einer Spaßgesellschaft. Ohne die Entbehrungen wie nichts zu Essen und zu Trinken zu haben, kein Dach über dem Kopf, zu frieren, und Angst haben zu müssen, dass sie jederzeit erschossen, vergewaltigt oder gequält werden können. Es wird ihnen auch nur bedingt bis gar nicht in der Schule oder in ihrem Zuhause vermittelt.“
Die Veranstaltung endete mit einer Schweigeminute zu Ehren für alle Opfer.
Oliver Beuchel: „Mit den Jahren sterben die Zeitzeugen aus dem Zweiten Weltkrieg. Ich habe Angst davor, dass uns ihr Wissen verloren geht.“ (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 177 (12/2020).
Der Beitrag Volkstrauertag 2020 in Schönwalde-Glien: Im Gedenken an die Opfer von Gewaltherrschaft auf der Welt! erschien zuerst auf FALKENSEE.aktuell.